Aus der Winnender Zeitung

Stadt Winnenden
17.10.2003

Kasubische Wicke lockt Pilger an den Berg

Auf heimischer Entdeckungsreise mit NABU-Vorsitzendem Horst Schlüter und Landespfleger Robert Bader

Von unserer Mitarbeiterin Heidrun Gehrke
Winnenden-Hanweiler. Wenige werden es wissen: Das Zipfelbachtal ist ein botanisches Schmuckkästlein. Zwischen Streuobstwiesen und Weinbergen gibt es rare Blumen und seltene Tiere. Am Landschaftspflegetag öffneten Horst Schlüter und Robert Bader dem Nicht-Botaniker im Vortrag die Augen für Kuriositäten am Wegrand.
Manchmal sind es kleine Ereignisse, die die Welt verändern. Oder violette, im Wind wehende Blütenflügel, die den Sonnenberg überregional bekannt machen. Zumindest unter Botanikern habe der Hanweiler Hausberg, vielmehr das, was dort wächst, eine regelrechte Pilgerbewegung ausgelöst. Grund sei die seltene „kasubische Wicke“, die schon manchen Pflanzenliebhaber auf dem Sonnenberg in Verzückung versetzt habe, berichtete Horst Schlüter.

Ihr Verhalten sei rätselhaft, komisch sei sie schon, diese „kasubische Wicke“. Sie zeigt sich ungern allein, taucht bevorzugt im „Rudel“ auf. An manchen Stellen liegen die violetten Blüten wie Teppiche auf grünem Wiesengrund, an anderen Stellen ist weit und breit kein einziger lila Farbtupfer zu sehen. Und dann der Name: klingt eher nach „Länder, Menschen, Abenteuer“ denn nach heimischer Streuobstwiese.

Ein Strauß Buntes und Seltenes wartet am Wegesrand rund um Hanweiler, an Tümpeln und zwischen Steinmauern. Gut, wer weiß, was er sieht. Dem botanisch nicht so Gesattelten springen vielleicht noch die Farbflecken von weitem entgegen, an die sich das Auge gewöhnt hat: das leuchtende Blau der Kreuzblümchen, die länglichen Kelche der Wiesenglockenblumen, das gelbe Blütenmeer der Sumpfdotterblumen und die wilde Möhre mit ihrem Faible für lockere, sandige, wenig bewachsene Böden.

Doch bei Blasensträuchern, Turmkraut, Fuchsknabenkraut und Moschusmalven stößt des Laien Jäger-Latein an Grenzen. Viele dieser seltenen Sorten blühen in großen Mengen nebeneinander oder mischen sich unter gängigere Exemplare. Die Wiesen machen im Jahresverlauf Färbungen von weiß über gelb bis pink-violett durch. Nasswiesen, wie sie im oberen Zipfelbachtal bei Breuningsweiler vorkommen, befördern noch weitere wundersame Pflänzlein wie die seltene Mondraute, die im Rems-Murr-Kreis nur an diesem Standort vorkommt oder die Rankenblatterbse. Auch Milchstern oder Kuckuckslichtnelke saugen sich hier gerne im nährstoffreichen Grünland voll.

Auch ist das Gebiet zum Lebensraum für viele Tierarten geworden. Hier können es sich seltene Schmetterlingsarten in bester Käfergesellschaft gut gehen lassen. Zum „Sonnenberg-Schmetterling“ hat Schlüter den Perlgrasfalter getauft, der an seinem cremig weißen Band auf der Unterseite der Hinterflügel sowie seinen großen, deutlichen Augenflecken zu erkennen ist. Ein ebenfalls häufig gesehener Bewohner ist der Feuerfalter - ein wahres Kind der Sonne: „Diesen Sommer hab ich ihn so oft wie nie zuvor gesehen“, schwärmt Schlüter.

Am Brombeerhang im Zipfelbachtal sind Bergzikaden, die einzige hier vorkommende Singzikadenart, heimisch geworden. Die wechselfeuchten Böden befördern ferner Orchideenarten wie das gefleckte Knabenkraut. Eine Süßwarenabteilung für Nektarsammler ist der wilde Majoran, der von Wildbienen sehr geschätzt ist. Sein Pollenangebot muss hervorragend sein, denn die von Bienen umflogene „Dost“ genannte Heil- und Gewürzpflanze prägt im späten Sommer den halbtrockenen Hang. Aus den Blättern wird Tee gegen Husten, Mund- und Rachenentzündungen gemacht.

Sogar Pilzkundler, die normalerweise schattige Plätze bevorzugen und mit Wiesen nicht viel am Hut haben, hätten in Hanweiler schon so manches Fragezeichen vor dem Kopf gehabt. Schlüter erzählt von einem Pilzkenner aus Backnang, der ihn einmal bei schlechtem Wetter auf den Sonnenberg begleitet habe. In einer der Trockenmauern entdeckte das entzückte Auge des Pilzsammlers einen „weißkammrigen Schleimtrüffel“, von dem er vorher nur ein einziges Exemplar auf der Schwäbischen Alb gefunden hatte. Woher und warum dieser Pilz sich hierher verirrt hat - ein Geheimnis der Natur. Oder die olivgrüne Erdzunge: Sie komme deutschlandweit an nur sechs Standorten vor, von denen der Brombeerhang in Hanweiler der südlichste sei. Das Woher und Warum mancher Pflanzenart sei nicht geklärt, die Wiesen geben Botanikern wie Vogelkundlern spannende Rätsel auf. So auch die Frage, warum es keine einzige Stelle gibt, an der die gelbe und weiße Wicke in trauter Zweisamkeit wachsen. „Es muss irgendwas am Boden hier anders sein“, vermutet Schlüter.