Winnender Zeitung vom 21.12.2006


Die Zugvögel sind klimatisch leicht irritiert

Rommelshausener Vogelexperte Heinrich Ritter: Das warme Wetter hat Star, Hausrotschwanz und Singdrossel im Remstal gehalten

Von unserem Redaktionsmitglied
Hans-Joachim Schechinger

Kernen.

Star, Hausrotschwanz und Singdrossel sollten längst im Süden sein, doch dieses Jahr ist es anders: Das Remstal bot den Zugvögeln genügend spätherbstliche Nestwärme. Bis jetzt. Von den kleinen Mücken, die Anfang Dezember noch haufenweise im Äther schwärmten, wurden die Insektenfresser fliegend satt. Aufgeheizte, verkehrte Welt: Selbst der Siebenschläfer war noch munter.

Es war im November, da wurde der Rommelshausener NABU-Vogelexperte Heinrich Ritter nach Waiblingen gerufen: Auf dem Marktplatz lag eine verletzte Singdrossel. Sie gehört eigentlich zu den 50 Prozent der gut 10 000 Vogelarten weltweit, die sich jedes Jahr im Herbst auf die lange Reise von Nord nach Süd machen, um in wärmeren Gefilden zu überwintern. Der laue Spätherbst drehte aber die Bio-Uhr der mitteleuropäischen Zugvögel zurück: Für einige war die Zeit noch nicht reif. Heinrich Ritter beobachtet, dass Hausrotschwanz und Singdrossel zum Teil im Remstal geblieben sind. Für den Fachmann nicht überraschend ist, dass ein verletzter Singvogel ausgerechnet auf dem Waiblinger Marktplatz notlanden musste: „In der Stadt, da ist es wärmer, und dort werden sie auch eher gefüttert.“ Bei Ritters im Garten indes haben Singdrossel und Hausrotschwanz, die im Futterhäusle nisten, die Flatter gemacht. Konrad Ilg, auch er Rommelshausener, sieht noch vereinzelt Stare im Ort. „Milane, Drosseln, einige Finken gehen südlich“, sagt Ritter. Auch der „reine Sommervogel“ Pirol, den der NABU-Aktive dieses Jahr beim evangelischen Waldheim in Stetten gesichtet hat, muss schon das Weite gesucht haben. „Der geht früh und ist einer der letzten, der kommt.“ Aber die dank ihres markanten Gefieders leicht erkennbaren Rotkehlchen beobachtet Ritter noch immer im Garten, wo sie sporadisch aufkreuzen. Rotkehlchen sind typische Teilzieher: Ein Teil fliegt ins westliche Mittelmeergebiet, ein anderer bleibt vor Ort. 
Die Gretchenfrage lautet: Warum? Ziehen nur diejenigen Tiere, die kein ordentliches Revier gefunden haben? 
Ornithologen rätseln. Sicher ist nur eins: Ihr Magnetkompass lässt die Vögel sogar bei bedecktem Nachthimmel sicher ans Ziel kommen.

Rauchschwalben bleiben in Europa

Die Klimaerwärmung wird das Verhalten der Zugvögel verändern. So genannte Langstreckenzieher, die früher wie die Rauchschwalben von Europa nach Afrika flogen, begnügen sich heute mit einem Winterquartier im Mittelmeerraum.Mangels warmer Kuhställe haben sich die Rauchschwalben in der Rommelshausener Reithalle eingenistet, und statt nach Afrika reisen sie im Winter nach Südfrankreich. Rauchschwalben sind Mückenfresser. Da selbst noch im Dezember genügend Kleinfliegen im Äther schwärmten, fanden sie im Remstal genügend Futter. Heinrich Ritter weiß von der Grasmücke, die seit einigen Jahren winters statt zum Mittelmeer nach Nordwesten ins südliche England auswandert. Dort ist es wärmer als in unseren Breiten, zweitens gibt es dank rühriger Vogelschützer ein reiches Futterangebot. „Wenn die Vögel die Richtung haben, geht die Jungbrut auch hin.“ So dreht sich der innere Kompass entsprechend veränderter Umweltbedingungen. Nicht nur Zugvögel kommen bei dem Klimawandel durcheinander. Auch Kleinsäuger wie Igel und Siebenschläfer sind plötzlich hellwach und putzmunter, obwohl sie laut Biologiebuch Winterschläfer sind. Nahe Stetten fand Ritter jüngst einen plattgefahrenen Igel auf der Straße: „Im November, solange es keinen Frost hat, laufen die rum und finden noch was zum Fressen. Für Junge ist das ideal - dann müssen auch weniger in die Pflegestation.“ Eigentlich hat auch der Siebenschläfer im November längst sein Winterquartier in einem hohlen Baum bezogen. Doch da turnte er in Kernen noch in Dachstühlen und über Dachwohnungen herum: „In einem Fall war die Vermutung, dass es ein Marder ist. Aber vom Loch her kann das nicht sein: Da kommt kein Marder durch.“
Bild Starenflug