It bloß Züri

Oder: Eine lange Kurzreise im Zug nach Basel

Ach, es ist doch für einen Schwaben wie mich eine feine Sache, wenn man mit der Hotelanmeldung auch ein Kärtchen bekommt, das freie Zug- und Busfahrten im Südschwarzwald bescheinigt. Bis nach Basel.

Bis nach Basel! Hei jo! Und das von Titisee aus über Freiburg kostenlos. Klar, dass man da auch mal Freiburg, ohne bezahlen zu müssen, besucht. Die Parkplätze sind dort eh‘ knapp und teuer.

Die Fahrt in der Regiobahn ist bis in das nette Städtchen erträglich, man bekommt als Touri um die mittlere Tageszeit immer einen Sitzplatz, meistens in den Doppelstockwaggons sogar oben. Wunderbare Aussicht wird einem da geboten: Die Landschaft um den Titisee in ihrer leuchtenden Herbstpracht, die schroffen Felsen im Höllental und dann wieder die flache Gegend im Rheintal mit ihren weiten Wiesen und gelb, braun, grün und rot blitzenden Wäldern

Nach einem kurzen Aufenthalt auf Freiburgs Bahnhof geht die Reise in den Süden weiter. In einem knappen Stündle, so sagt der Fahrplan, ist man am Badischen Bahnhof in der schweizerischen Stadt. Logisch, vor dem Einsteigen wird natürlich ein wenig aufgepasst, wer sich da vorher in den Zug hechtet, und zu der gackernden Jugendgruppe halten wir einen Waggon Abstand. Man möchte ja die Fahrt genießen.

Also husch die Treppe hoch und eine Vierersitzgruppe, die schon leer auf uns gewartet hat, grottenbreit besetzten. Was für eine Aussicht auf den Rheingraben! Noch drei Minuten, dann wird sich diese Idylle in Bewegung set... „Hähäääh! Und damit glaubst du, dass dich die WG nimmt?“, so trötet es die Treppe hoch und ein Rudel junger Frauen platzt in die noch leeren Sessel wie Splitterbomben. „Na, du weißt ja gar nicht (sie sagt eigentlich „gaanich“, weil die alle nur versuchen, Hochdeutsch mit einander zu kommunizieren, keine redet südbadischen Dialekt, den ich so gerne höre), wie schwer es ist, überhaupt ein Zimmer dort zu bekommen!“ „Und meinen Bachelor möchte ich dann auch machen“. „Habt ihr gehört, was der X über die Y gesagt sagt hat, buahaha!“ Diagnose: Sprechdurchfall bei allen!

An der nächsten Station stiegen – nein, polterten – dann neun Kindergartenkinder mit drei Frauen herein, die wohl nicht wussten, dass sie die Gören beaufsichtigen sollten. Gebrüll, Geschrei und rhythmisches Klappern mit den kleinen Müllbehältern war das wenigste, was einem den Genuss an der Reise verdarb. Die Hoffnung, dass diese Leute wieder vor Basel aussteigen könnten, wurde erst in Weil am Rhein erfüllt, zwei Minuten vor der Endstation. Dabei war die Natur vor dem vorbeieilenden Fenster sowas von ruhig und friedlich.

Auf den Feldern sah man hunderte von Rabenkrähen, die das frisch Geeggte nochmals mit ihren dicken Schnäbeln durchpflügten, einige Graureiher standen wie geschnitzt in der Nähe der Wassergräben und Amseln und Sperlinge wuselten durch die Hecken. Und hier die fahrende Tobewelt.

Die Rückreise gestaltete sich dann wesentlich anders, keine brüllenden Kinder, keine sich bis zum Überdruss aufspielenden jungen Menschen, einfach Leute, die von der Arbeit nach Hause fuhren. Da kommt Freude auf.

Doch. Doch? Mit „tripp-tripp-düdeldudüdd!“ und „taram-taram-zarassassa!“(Ouvertüre zu Wilhelm Tell im Düdelton, hätte ich doch nur seine Armbrust...) beginnt der zweite Akt in diesem hohen Haus. „Nein, Mutti (der Mann ist so alt, dass es wohl kaum seine 110jährige Mutter am anderen Ende der kabellosen Verbindung sein kann), nein, nein, bin gleich da!“ (hoffentlich...). Hinter mir öffnet jemand einen mindestens vier Quadratmeter großen Zellophanbeutel und knurpselt „Bäcker Lustigs krachende Knäckekekse“ mit einer bislang unerlebten Wonne. Und damit da schön Sauerstoff ran kann, schmecken sie mit offenem Mund wohl besonders gut. Ich spüre förmlich das Kribbeln der Brosamen in meinen Schuhen.

Was bin ich froh, dass ein anderen Nachbar als Gegengewicht hektisch schwitzend in der Zeitung blättert und eine junge Frau ihr Mitbringsel in Form eines Cheeseburgers mit Pommes verzehrt, denn sonst wäre heute der Geruchssinn wohl als einziger verwaist.

05.11.2010/w.p.