Der Hase aus dem Osten

Es war einmal vor vielen, vielen Jahrzehnten ein Hase, der kam aus dem Osten und hieß daher Ostenhase.

Als er im Frühjahr in Stuttgart aus dem Zug stieg, schlugen ihm sämtliche Sprachen der Welt entgegen, dabei wollte er doch so gerne Schwäbisch lernen. Er hatte schon zuhause einige Bücher gelesen, wusste aber nie, wie man das Schwäbische ausspricht.

Und, er hatte ein Problem, er lispelte. Hasen haben ja lange Schneidezähne, die beim Sprechen die Sprache etwas verfälschen.

So war er doch sehr verängstigt und genehmigte sich in der Bahnhofskneipe erst mal einen Schnaps und ein Bier. Hier müsste jetzt stehen: > wollte sich...genehmigen <, denn der Wirt baffte ihn an: „Für Hasen gibt es keinen Alkohol, bist du denn überhaupt schon 18?!“

Klar war er noch nicht so alt, Hasen werden ja höchstens mal 10 Jahre alt. Doch, so hatte er ausgerechnet, wenn man als Mensch durchschnittlich 80 wird, dann ist er mit seinen vier Jahren umgerechnet 32 und damit ein alter Hase.

So schnappte er etwas entmutigt seinen Rucksack und lief die Königstraße entlang. Sprachen seiner Heimat schlugen ihm entgegen. Er hörte Russisch, Ukrainisch, Ungarisch, Rumänisch und auch Slowakisch und Slowenisch waren dabei. Die Schwaben waren wohl alle bei der Arbeit.

Gut, sagte sich der Ostenhase, wenn die Schwaben so arbeitsame Leute sind, dann will ich auch etwas tun.
Doch weder bei der Straßenbahn, noch bei Karstadt, weder bei der Stadtverwaltung noch bei Lindemanns Buchladen hatte man Arbeit für ihn. Da kam ihm die Idee, sich auf die Königstraße zu setzen und aus Holzstücken Figuren zu beißen, denn das konnte er mit seinen scharfen Zähnen ausgezeichnet.

Und damit ihn jeder Vorbeilaufende auch an seinem Namen erkennen konnte, biss er sich ein schönes, großes Schild „Ostenhase“.

Das Geschäft lief mehr schlecht als recht, doch er konnte sich zumindest von den Figuren ernähren. Mohrrüben waren ja billig und er hatte so langsam Freude an seiner Arbeit. Auch immer wieder kamen Schwaben vorbei, mit denen er sich gut unterhielt und so lernte er auch diesen Dialekt ziemlich gut.

Eines Tages kam allerdings ein Besoffener bei ihm vorbei und fragte, was das soll, hier herumzusitzen und Figuren zu beißen. Als der Hase ihm keine Antwort gab, wurde der Mann so wütend, dass er die Figuren zertreten wollte. Da griff der Ostenhase sein großes Schild und haute es dem Mann auf seinen blöden Schädel, so dass dieser brüllend wegrannte.

Er räumte seinen Platz wieder auf und schlagartig blieben die Menschen bei ihm stehen, bewunderten ihn und seine Arbeit und freuten sich, dass er so ein süßer Kerl sei. Und dass es eine super Idee sei, nun vor den Festtagen so einen goldigen Hasen in die Königstraße zu setzen.

Ratzfatz waren sämtliche Figuren verkauft, bis auf sein Schild.

Und als er es wegräumen wollte, er hatte ja nichts mehr zu verkaufen, fiel es ihm auf: Am „n“ von Ostenhase war ein Stück abgebrochen und der Schriftzug hieß jetzt

„Osterhase“

25.04.2011/w.p.