Ob sich wohl noch jemand an die Geschichte Wilhelm Hauffs „Das gläserne Herz“ erinnert? Darin wurde der Schwarzwald als drohend, dunkel, schwarz dargestellt. Zum Glück ist das diesen Herbst anders.
Und warum? Die Erklärung ist einfach:
Wie jeden Spätsommer wird im Himmel aufgeräumt, und vor allem die Farbtöpfe für den Frühling kommen endgültig ins Lager. Im Winter reicht weiß.
Nun ist es aber so, dass dort immer wieder neue Leute dazukommen und Petrus hat seine liebe Not, den meist unqualifizierten Mitarbeitern das Farbenlager zu erklären. Wer einmal im Frühjahr mit offenen Augen über eine Wiese stolperte, weiß, wovon ich rede. Die Skala ist endlos und verwirrend!
Und der Herbst kam dabei immer zu kurz. Blautöne gibt es schon gar nicht, außer an kalten Händen und Nasen. Das Grün ist fast schäbig und matt, es wirkt sehr lustlos, außer bei den Tannen, wobei es davon im Schwarzwald schon noch unendlich viele gibt. Doch die anderen Bäume und Sträucher waren halt immer so irgendwie beige-ockerfarben.
Nun hat aber dieses Jahr Petrus einen jungen Literaturstudenten als Farbenlagerverwalter bekommen und der ordnete alle Farben nach Goethes Farbenlehre. Man sollte ja denken, dass dort oben im Himmel endlos Platz ist, hier stehen allerdings die Regale dicht gedrängt.
So hat dieser junge Mann die Farbtöpfe auch auf dem Fußboden aufgereiht und schön nach ihren Schattierungen sortiert. Bis in den Oktober standen so die Eimerchen auf dem Fußboden herum, sie störten nicht, denn bis ins nächste Frühjahr brauchte die ja keiner mehr. Dachte der Student.
Er rechnete allerdings nicht mit der Ordnungsliebe von Petrus, denn dieser schaute gegen Ende des Monats einmal nach. Als er die Türe zum Farbenlager aufstieß, kippten die ersten neun Eimerchen um und alle Pigmente wurden dadurch in den Farbentrichter „Schwarzwald“ geleert.
Strahlendes Orange, quietschendes Gelb, schreiendes Hell- und Dunkelrot in allen Schattierungen und selbst ein leuchtendes Braun rieselten über die Laubbäume im Schwarzwald, so dass es eine wahre Pracht war. So ein farbenfrohes Treiben hatte bislang dort noch niemand bemerkt, zumal Petrus viel Sonne für den Herbst 2011 vorgeschrieben hatte.
Man meinte gerade, dass sich die Bäume noch ein letztes Mal vor dem Winter aufbäumten (daher wohl der Name „Baum“) und voller Stolz und Anmut in ihrer Farbfülle den Frühling übertrafen.
Selten habe ich in meinem Leben solch einen farbenfrohen Herbst erlebt. Wie doch so ein kleiner Fauxpas solch eine großartige Wirkung erzielen kann.
02.11.2011/w.p.